Haus der Kontraste

Schnuppertage in der Kommune in Waltershausen: zwischen Regeln und Anarchie

von Felix Mannheim

Eine alternative Kommune wächst in Waltershausen. Am Wochenende waren Schnuppertage in dem Haus der Kontraste, das Anarchie durch Regeln herstellt und sich für Toleranz abgrenzt.

„Bevor sie kommen dürfen, hätten eigentlich alle zustimmen müssen“ begrüsst Henner Reitmeier, 53, den Reporter. Er wisse ja, dass es für die Presse immer schnell gehen muss, „aber WIR haben Zeit.“ Alles werde im Konsens entschieden.

15 Menschen sind die festen Bewohner der ehemaligen Puppenfabrik Biggi, dazu sind fast immer fünf Gäste da. Im April hatte der siebenköpfige Gründerverein das 1,7 Hektar grosse Grundstück samt Fabrik für 130000 Euro gekauft. „Das war eine Ruine: eingeschmissene Fenster, Bierdosen“, sagt Reitmeier. Er war der erste, der dazustieß. Sie schliefen in Zelten – und fingen an zu arbeiten. Mittlerweile sind 15 Zimmer fertig. Und die Heizung läuft. Grund genug zum „Schnupperwochenende“ einzuladen. Schließlich soll die Kommune mal auf 100 Menschen anwachsen. Ein Dutzend kam von Freitag bis Sonntag – und erfuhr die Aufnahmebedingungen.

Denn was eine, laut Henner, anarchisch und links ausgerichtete Gemeinschaft ist, fußt auf Regeln. „Frei“ bedeutet hier nicht dass jeder hereinkann. „Frei“ heisst, dass Bewohner so ausgewählt werden, dass sie sich gegenseitig nicht in ihrer Freiheit einschränken.

Wer einziehen möchte, muss sich deshalb erstmal für die Probezeit bewerben. Nach drei bis sechs Monaten entscheidet das Plenum über die Aufnahme. Ist nur einer dagegen, muss der Bewerber ausziehen. „Aber die meisten bleiben“, so Reitmeier. Was wohl auch an gegenseitiger Toleranz liegt. Daran, dass nicht jeder darauf besteht seinen Kopf durchzusetzen. Mittags beim Essen hört man nur leises Sprechen, Zuhören, verständnisvolles „Mmh“. Das wird geübt. Am Regal hängt eine Liste. Alle müssen miteinander Einzelgespräche führen, ihre Kommunikation reflektieren. Daneben: Die Regeln für Probezeitler, der Kassenstand…

Wer in die tolerante Gemeinschaft einziehen will, „muss grundsätzliche Vorstellungen teilen“, unterstreicht Reitmeier. Das wäre: „Kampf dem Eigennutz und Machtstreben und der Versuch ökologisch zu leben.“ Es sind Menschen, die sich von der Marktwirtschaft da draussen abgrenzen wollen.

Dazu gehört auch der Verzicht auf Privateigentum. Jeder zahlt seine Einkünfte in die Kasse – und darf sich herausnehmen, was er braucht. Geld soll vor allem durch Arbeit in der Kommune reinkommen. Ein Kulturcafe ist geplant, dazu Dienstleistungen für die Stadt Waltershausen – und natürlich die Versorgung der Mitglieder aus dem eigenen Garten.

Silky Korfmacher, 32, ist aus Düsseldorf gekommen, um Kommuneluft zu schnuppern. „Mit mehr Leuten ist mehr Lebensfreude“, sagt die Schuhmacherin. Dafür würde sie auch ihr Privatvermögen aufgeben – „aber das ist ja eh nicht so gross.“ Korfmachers beiden Söhne, Flurim und Elias, sechs und drei Jahre alt, turnen schon durch die Gemeinschaftsküche.

Zwei Kinder leben im Moment in der Fabrik. „Mehr waren uns noch zu gefährlich, wegen der Baustelle“, sagt Reitmeier. „Aber wir möchten gerne, dass hier Menschen aufwachsen – und alt werden.“

Zum Abschluss sagt Reitmeier. „Denken sie nicht, ich wäre hier der Sprecher. Es gibt keine Hierarchie. Morgen würde sie jemand anders rumführen.“ Und am besten wäre, wenn darüber vorher im Plenum entschieden würde.

aus Gothaer Allgemeine, 24.11.2003

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